10.07. - Minister unterstützt Projekt "§ 175 Geschichte und Schicksale"
Justizminister Dr. Helmuth Markov (Die Linke) übergibt Lottomittel an Bündnisprojekt
Mit der endgültigen Abschaffung des § 175 StGB 1994 endeten polizeiliche Verfolgung und Stigmatisierung homosexueller Männer durch den Staat auf Grund des genannten Paragraphen. An dem Prozess, der zur Abschaffung des Paragraphen führte, waren über 122 Jahre lang die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kräfte sowie herausragende Einzelpersönlichkeiten beteiligt.. Hier wirft die Geschichtsschreibung spannende Fragen auf. Als August Bebel 1901 im Reichstag die Abschaffung des § 175 forderte, bezog er sich dabei auf eine Petition, die Magnus Hirschfeld (dt. Sexualforscher) initiierte. Diese unterschrieben etwa 800 Menschen. Gab es davon Unterzeichnende, die auf dem heutigen Gebiet Brandenburgs lebten? Das Geschichtsprojekt "amico" des Bündnis Faires Brandenmburg e.V. hat eine erste Antwort gefunden.
In seinem neuen Projekt "§175 - Geschichte und Schicksale" wollen die Mitarbeitenden durch Recherche in Archiven und Zeitzeugenbefragungen vor allem an diejenigen erinnern die sich gegen den "175er" engagiert haben.
Wir laden Sie recht herzlich zu einem kleinen Empfang anlässlich der Lottomittelübergabe durch Minister Dr. Helmuth Markov ein. Mit den Mitteln wird der technische und räumliche Unterhalt der Geschichtswerkstatt im Potsdamer Louisen-Henrietten-Stift finanziert sowie die Schaffung eines historischen Buchbestandes zu diesem Thema. Die Geschichtswerkstatt steht zukünftig Interessierten offen.
Zur Lottomittelübergabe sprechen
Jirka Witschak
- Vorsitzender Bündnis Faires Brandenburg e.V. -
Dr. Helmuth Markov
- Minister der Justiz des Landes Brandenburg -
Carsten Bock
- Bundessprecher des Arbeitskreises LSBTI ver.di -
Der Empfang findet am 10.07. in der Geschichtswerkstatt im Louisen-Henrietten-Stift Potsdam, Benkertstr. 1 (Holländisches Viertel) von 13:00 Uhr bis etwa 14:30 Uhr statt.
Für einen kleinen Imbiss und Getränke ist gesorgt. Wir freuen uns über Ihr Kommen. Eine Anmeldung über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! wäre angenehm, aber nicht zwingend notwendig.
PM Bündnis Faires Brandenburg e.V.
In der DDR war Schwulsein ein "Nicht-Thema"
Verein Katte e.V. erhält Landesförderung: Er soll Kriminalisierung der Homosexuellen erforschen
von Ildiko Röd
Für das neue Projekt „§175 – Geschichte und Schicksale“ des Potsdamer Vereins „Katte“ hat Justizminister Helmuth Markov (Linke) gestern eine Förderung in Höhe von 5000 Euro aus Lottomitteln übergeben. Der „175er“ stellte „sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe und wurde im wiedervereinigten Deutschland erst 1994 abgeschafft. Der Aufarbeitung dieses dunklen Justiz-Kapitels – schwärzester Tiefpunkt war die Ermordung von Schwulen als „Rosa-Winkel“-Häftlinge in den KZs – will sich die neue Geschichtswerkstatt widmen. Neben der Archiv-Recherche sind Zeitzeugengespräche und Seminare geplant, sagte Archivar Stephan Czibulinski.
Anzeige
Die Übergabe der Fördermittel fand im „Louise-Henrietten-Stift“ im Holländischen Viertel statt, wo das Archiv seinen Sitz hat. In dem Backsteinbau Ecke Benkert-/Kurfürstenstraße logiert außerdem das „Leander“ als Potsdams Szenekneipe für „queeres“ Publikum; sprich: alle Nicht-Heterosexuellen, von schwul-lesbisch bis „transgender“. Dass die Eröffnung der regenbogenbeflaggten Einkehrstätte genau vor 16 Jahren am 10. Juli 1998 stattfand, war „Leander“-Gründer und Katte-Mitarbeiter Jirka Witschak natürlich eine gesonderte Bemerkung wert.
Damals lag der Tabu-Bannfluch für Homosexuelle noch nicht lange zurück. In der DDR war Schwulsein quasi ein Nicht-Thema gewesen. „Man hat sich schon in Bedrängnis gefühlt“, erinnert sich Grünen-Kommunalpolitiker und Katte-Mitarbeiter Uwe Fröhlich an die Situation Ende der 80er Jahre. Im Osten hatte man den „175er“ zwar schon 1968 aufgehoben; er wurde aber durch den Paragraphen 151 Jugendsexualstrafrecht ersetzt.
Wie Archivar Czibulinskis herausgefunden hat, kann Brandenburg einen echten Pionier im Anti-175er-Kampf vorweisen: Der 1853 in Potsdam geborene Eduard Bertz war Schriftsteller, Philosoph, Bibliothekar und Übersetzer. Er setzte sich für die Sozialdemokratie und das Fahrradfahren ein – und für Homosexuellenorganisationen. 1898 unterzeichnete er zusammen mit mehr als 800 Persönlichkeiten eine gegen den Paragraphen 175 gerichtete Petition, die der bekannte Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld initiiert hatte. Bertz’ Leben und Werk harren noch einer Aufarbeitung.
In Brandenburg ist die Situation für Homosexuelle längst noch nicht rosig. 400 Fälle von Gewalt gegen schwul-lesbische Menschen musten seit 2005 in Brandenburg registriert werden. Auch im „Leander“ wurden einmal alle Fensterscheiben zerschlagen.
Der Verein Katte e.V., der die neue Geschichtswerkstatt eingerichtet hat, muss ständig ums finanzielle Überleben bangen. Derzeit sei die landesweite Beratungsarbeit zu HIV gefährdet, sagte Katte-Vorstand Jirka Witschak gestern. Gespräche mit dem Gesundheitsministerium über Förderungen stünden „auf der Kippe“.
"Eine Subkultur wie im Westen gab es nicht"
MAZ: Katte-Mitarbeiter Uwe Fröhlich kennt Potsdams Szene seit 1986. MAZ:n Fühlten Sie sich als Homosexueller in den 80ern diskriminiert?'
Ich hatte damals meine Ausbildung zum Koch beendet und arbeitetein der Gastronomie: In diesem Beruf waren recht viele Homosexuelleunterwegs - da ging es eigentlich. Probleme gab es eher in der Familie, die kirchlich geprägt war mit klassischem Familienbild.
MAZ: Welche Möglichkeit hatte man in Potsdam, sich zu treffen?
Das war natürlich sehr, überschaubar. Eine Subkultur wie im Westen gab es nicht. Man traf sich im Café Heider und dort wo heute die Wilhelmgalerie ist, war das "Schuhauscafé", eine Disco. Ganz wichtig war damals aber der Gesprächskreis unter dem Dach der Kirche. Der Babelsberger Pfarrer Stefan Flade hatte ihn eingerichtet - trotz des Widerstands von Zweidritteln seines Gemeindkirchenrats.
MAZ: Sie planen Veranstaltungen zur Geschichte. Welche sind das?
Am 10. November wollen wir im "Thalia"-Kino "Coming out" von Heiner Carow zeigen. Der Film jam im November 1989 heraus; wir wollen ihn genau 25 Jahre später wieder zeigen.
Märkische Allgemeine Zeitung, 11.07.2014
mit freundlicher Genehmigung der Autorin