Erbärmlicher Zustand für Ehrenamtler*innen in der AIDS-Prävention
Brandenburgischer Finanzminister (Die Linke) bietet Gespräche an
Gesundheitsministerin Anita Tack (Die Linke) hat die Förderung aus Lottomitteln für die HIV/Aids-Präventionsprojekte des Bündnis Faires Brandenburg e.V. zweimalig abgesagt. Dabei ging es zuerst um eine Finanzierung von 17.000 Euro für das Jahr 2014. Diese Summe musste später vom Antragsteller auf 10.000 Euro wegen mangelnder Haushaltsmittel, so das zuständige Gesundheitsministerium, reduziert werden. Auch dieser Antrag wurde dann für alle Beteiligten völlig überraschend abgelehnt, jetzt mit der Begründung einer mangelnden ordnungsgemäßen Geschäftsführung in den letzten Jahren und einer Nicht-Förderfähigkeit des Antrages, weil es sich hier um fortlaufende Projekte handeln würde. Derzeit befindet sich der zuletzt gestellte 10.000 Euro-Antrag im Widerspruchsverfahren. Dabei geht es nicht nur um die Summe von 10.000 Euro, sondern um das Überleben der Projekte. Denn in der Summe waren anteilige Mietkosten, Weiterbildungskosten für die Beratenden, Kosten für die Testangebote (HIV+STI) und Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche enthalten. Mit dem Vorsitzenden des Bündnis Faires Brandenburg e.V. Jirka Witschak sprach gayBrandenburg.de:
"Mangelnde ordnungsgemäße Geschäftsführung in den letzten Jahren..." ist ja harter Tobak?
Offensichtlich ist der Hausspitze des Gesundheitsministeriums nichts anderes mehr als Begründung eingefallen, denn der Antrag wurde nicht, laut Ablehnungsbescheid, wegen seines Inhalts, nämlich der Frage wie wir gemeinsam HIV/Aids-Präventions- und Beratungsangebote in Brandenburg mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln bewerkstelligen können, abgelehnt, sondern mit der fragwürdigen Behauptung "... mangelnder Geschäftsfähigkeit des Antragsstellers". Das ist schon allein deshalb nicht glaubhaft, weil diese Begründung erst beim zweiten reduzierten Antrag herhalten musste. Wir als Bündnis Faires Brandenburg e.V. und das zuständige Referat im Gesundheitsministerium verhandeln doch nicht tagelang, um den Förderantrag im Detail antragsfähig zu machen und kämpfen beispielsweise stundenlang um eine Buttonmaschine für die Öffentlichkeitsarbeit, wenn von vornherein klar ist, dass das Bündnis nicht "geschäftstüchtig" ist. Das ist doch blanker Unsinn.
Aber Fristen wurden doch bei der Abrechnung vorhergehender Anträge nicht eingehalten?
Das ist richtig. Aber Fristen kann man verlängern und das ist ordnungsgemäß geschehen und heute gibt es keine Rückstände bei Verwendungsnachweisen o.ä. beim Gesundheitsministerium bzw. beim zuständigen Landesamt. Alle Anträge aus der Vergangenheit sind abgerechnet.
Laut Potsdamer Neuesten Nachrichten, erklärt das zuständige Ministerium nun, dass der Förderantrag wegen erheblicher Mängel abgelehnt worden sei.
Das ist eine Begründung, die uns die Ministerin mal näher erläutern sollte. Worin besteht denn bitte schön ein erheblicher Mangel, wenn wir die Kosten für den HIV-Schnelltest und Tests auf andere sexuell übertragbare Krankheiten, die Fort- und Weiterbildungbildung für die Beratenden und Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Mitarbeitende beantragen. Der Antragstext ist tagelang mit dem zuständigen Referat ausgehandelt worden, um ihn auch ganz sicher antragsfähig zu machen. Danach ging dieser erst an die Hausspitze.
Über Lottomittel dürfen keine fortlaufende Projekte finanziert werden.
Alle beantragten Hauptprojekte in dem Antrag sind neu. Dazu gehört das Rat & Tat - Zentrum in Potsdam und Cottbus. Hier geht es lediglich um eine anteilige Miete für die Beratungsräume. Auch die geplanten Printmedien wurden erstmals beantragt. Ebenso die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Mitarbeitende, die in der Fläche Brandenburgs unterwegs sind und Jugendliche in Seminaren oder an Infoständen über Safer Sex aufklären.
Andere AIDS- Vereine machen es doch offensichtlich besser? Die haben nicht so ein Ärger am Hals.
Die Frage ist ja zuerst, mit welcher Fördermittelart denn gefördert wird. Da gibt es zum Beispiel Landesmittel mit denen Projekte kontinuierlich finanziert werden, beispielsweise Beratungsstellen oder Koordinierungsstellen u.ä. Wir wurden jedoch immer trotz der vielen Beratungsangebote lediglich über Lottomottel finanziert. Diese haben eine Laufzeit von höchstens einem Jahr inklusive Maßnahmebeginn, Durchführung und der Erstellung von Verwendungsnachweisen. Diese Anträge sind wesentlich komplizierter, weil diese zu allem Unglück eben keine dauerhaften Projekte fördern dürfen.
Wenn der geneigte Leser und die interessierte Leserin sich so umschaut, stellen sie doch schnell fest, dass Brandenburg ja ein Land der Koordinierungsstellen ist. Könnten diese nicht den ganzen Aufwand der Beantragung von Fördermitteln tragen?
Für den Gesundheitszieleprozess HIV/Aids in Brandenburg ist die Geschäftsstelle der Initiative Brandenburg gemeinsam gegen Aids, die bei der AIDS-Hilfe Potsdam e.V. angesiedelt ist, zuständig. Diese hat aber nichts mit Geldfragen der Akteure der Initiative oder einem Gesamtetat zu tun. Das ist uns bei der Bewältigung von Finanzangelegenheiten keine Hilfe.
Dann gibt es noch die sog. Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule Belange des Landes Brandenburg (LKS). Dessen Leiter/in Lars Bergmann lehnt es ab, bis auf die eigene LesBiSchwule T*our, mehr Projekte mit Lottomitteln zu finanzieren, weil der Aufwand für die sog. LKS nicht machbar ist. Jedenfalls äußerte sich Herr Bergmann derart, bei einem Ehrenamtsempfang der Gesundheitsministerin im März diesen Jahres. Damit verzichtet die LKS auf Finanzierungsmöglichkeiten für die LSBT-Community und für dort angebundene Projekte zur Aufklärung zu sexueller und seelischer Gesundheit.
Und zu guter Letzt haben wir neuerdings auch noch eine sog. MSM-Fachstelle, ebenso bei der AIDS-Hilfe Potsdam angesiedelt. MSM steht für Männer, die Sex mit Männern haben. Für die Einrichtung einer solchen Stelle haben die Mitglieder des Bündnis Faires Brandenburg e.V. jahrelang gekämpft. Aber nun kennen wir nicht einmal eine Stellenbeschreibung dieser sog. Fachstelle. Ich kann ihnen also nicht sagen, was deren Aufgabe ist.
Andere Vereine haben die Beantragung von Lottomitteln wegen des Aufwandes aufgegeben. Deshalb ist ja der Antrag des Bündnis Faires Brandenburg so wichtig gewesen, weil er verschiedene Projekte umfasste und weil er eine Perspektive aufzeigt, wie zukünftig ehrenamtliches Engagement tatkräftig und effektiv unterstützt werden kann.
Ein Projekt des Bündnis heißt ja "Queer Factory". Hört sich irgendwie auch nach Koordinierungsstelle an?
Das Bündnis Faires Brandenburg e.V. hat in den letzten Jahren etwa 15 Stellen über das Projekt Queer Factory geschaffen. Das sind ganz konkret 1-Euro-Jobs, Bundesfreiwilligendienst, Einstiegsqualifizierungsjahr oder Bürgerarbeit. Wir helfen damit Menschen, die Hilfe bei ihrem Einstieg oder Wiedereinstieg in das Berufsleben suchen. Das Projekt ist "Best practice" - Beispiel des Bundesinstituts für berufliche Weiterbildung (BIBB).
Insgesamt unterstützen wir mit dem Projekt die Präventions- und Aufklärungsprojekte in Brandenburg sowohl im LSBT-Bereich als auch im HIV/Aids-Bereich direkt. Beispielsweise können wir aufgrund der geschaffenen Personalressourcen etwa 30 Infostände im Jahr in ganz Brandenburg organisieren. Auch der CSD Potsdam oder Radio Andersrum haben von der Arbeit der Queer Factory profitiert. Nicht zu vergessen die ganzjährige Zusammenarbeit mit der Landesjugendfeuerwehr. Das hat weniger mit der "theoretischen" Arbeit einer Super-Koordinierungsstelle zu tun, sondern hilft ganz praktisch den einzelnen Projekten.
Übrigens werden auch alle Jobmaßnahmen von uns ohne Komplikationen ehrenamtlich unter Zuhilfenahme eines Lohnbüros abgerechnet. Für die Abrechnung des hier begleitenden Lottomittelantrages "Raus aus der Grauzone" beim Sozialministerium ist seit diesem Jahr erstmals eine sehr geringfügig bezahlte Stelle auf Honorarbasis zur Unterstützung geschaffen worden. Die beiden Ministerien Soziales und Gesundheit machen dabei einen guten Schnitt. Denn sämtliche Kosten für die Jobmaßnahmen werden von Bundesministerien übernommen. Das macht gut und gerne mindestens 80.000 Euro jährlich.
Welchen Wert hat die ehrenamtliche Arbeit im Land Brandenburg?
Stellen sie sich mal vor sämtliche in Brandenburg existierende Projekte in der HIV-Prävention müssten von Ministerin Tack, inklusive der Personalkosten von Hauptamtlichen bezahlt werden. Das wäre locker eine Million Euro im Jahr. Die Linken-Ministerin Tack zahlt bisher etwa 170.000 Euro jährlich. Man könnte diesen Zustand auch als einen erbärmlichen Zustand der Ausbeutung von ehrenamtlichen Mitarbeitenden wahrnehmen.
Warum gefährdet die Absage der Förderung durch Ministerin Tack große Teile der Angebote zur HIV/Aids-Prävention in Brandenburg?
Dazu braucht man sich nur den Gesundheitszieleprozess der Initiative Brandenburg gemeinsam gegen Aids anschauen. Viele der Maßnahmen zum erreichen der Ziele der Initiative sind Projekte des Bündnis Faires Brandenburg e.V. oder dessen Mitglieder. Die beantragten Mittel sind wirkliche nötig um die Mindestausgaben zu decken. Wenn auch noch diese wegfallen, können die Maßnahmen nicht mehr durchgeführt werden. Im Prinzip kann dann auch der Gesundheitszieleprozess HIV/Aids des Landes Brandenburg eingestellt werden, weil er dann nur noch reine Makulatur ist. Insbesondere Maßnahmenpakete der AG 4 - MSM sind dann nicht mehr durchführbar. Auch die aktuell schwierige Situation im Bereich Migration wird nicht mehr durch die ehrenamtlichen Akteure begleitet werden können.
Es gibt doch aber noch andere Aidshilfen in Brandenburg?
Es kann nicht darum gehen, dass aufgrund der schwachen Haushaltslage die AIDS-Hilfen in Brandenburg von der Ministerin gegeneinander ausgespielt werden und somit Geld gespart wird. Alle am Gesundheitszieleprozess beteiligten Akteuere sind wichtig. Das ist deshalb so, weil es so wenige aktive Gruppen in diesem Bereich in Brandenburg gibt. Die Gesundheitsministerin kann auf keines der Projekte verzichten, denn es sind viele kleine Bausteine zur besseren HIV/Aids-Prävention in Brandenburg.
Was ist zu tun?
Wir haben heute eine Einladung des brandenburgischen Finanzministers Christian Görke zu einem Gespräch bekommen. Dieses Angebot nehmen wir sehr gerne an. Wichtig ist uns, neben der Absicherung der bestehenden Projekte, auch inhaltliche Impulse für eine zukünftige Arbeit im Bereich HIV/Aids zu ermöglichen. Die Landesregierung muss verstehen, dass sie ohne die sehr professionellen Angebote in den ehrenamtlichen Strukturen ihr Ziel der Senkung der HIV-Infektionszahlen nicht erreichen kann. Es bedarf guter und wertschätzender Arbeitsstrukturen um die wenigen ehrenamtlich Engagierten zu halten und vor allem Wege für neue Projekte zu öffnen. Im Landesverband gibt es hierzu Ideen. Diese tragen wir ohne Frage an kompetenter Stelle gerne vor.