Das Ende der Blockade?
Die 10. Fachtagung der „Initiative Brandenburg gemeinsam gegen Aids“
(gayBrandenburg - Positiv sein) Ob es ein symbolischer Akt war, die 10. Jahrestagung der „Initiative Brandenburg gemeinsam gegen Aids“ ausgerechnet im sog. „Friedenssaal“ des Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft abzuhalten? Man kann es nur vermuten. Hinlänglich ist bekannt, dass das finanzielle Missverhältnis zwischen der heterosexuell dominierten und institutionalisiertern Potsdamer Aids-Hilfe und den ehrenamtlichen schwulen Beratungsinitiativen für schier unerschöpflichen Zündstoff in der Brandenburger Präventionslandschaft sorgt.
Die zuständige Fachabteilung des Gesundheitsministeriums weigert sich seit Jahren mit einer erschreckenden Beharrlichkeit, die Arbeit der schwulen Aktivisten im Land dauerhaft in ihrem Bestand zu sichern. Allenfalls kann man sich auf Seiten der Ministerialbürokratie noch zu kleineren Lottomittelbeigaben durchringen, mit denen dann wenigstens das Material für HIV-Schnelltests beschafft wird.
Ansonsten tut man vieles, um vor allem die eigenen Leute abzusichern. Die Symbolik des auf Frieden benannten Saals lief ins Leere, die Spannungen inhb. der Initiative waren bei dieser Fachtagung deutlich wahrnehmbar. Mitarbeiter von Ministerium und Aids-Hilfe vermieden sichtlich eine persönliche Annäherung an die Mitglieder der sog. „AG4“ der „Initiative Brandenburg gemeinsam gegen Aids“, in der die nicht-heterosexuellen Kräfte der HIV-Prävention organisiert sind. Man beschränkte sich auf Höflichkeiten.
Die Tagung begann mit einem ermüdenden Exkurs des Robert-Koch-Instituts zu Infektionszahlen. Die wirklich wichtige Erkenntnis dieses ausufernden Vortrags, auch im Kontext der jüngst veröffentlichten Ergebnisse zum Infektionsgeschehen: Das „RKI“ ist nur so klug, wie die Daten die ihm zufließen. Und hier scheint es mitunter erhebliche Diskrepanzen zu geben, was das Meldeverhalten der Ärzte und Gesundheitsämter, sowie die Qualität der Infektionsmeldungen betrifft. Ganz allgemein warf dieser Vortrag einmal mehr die Frage auf, wem mit der Zahlenhuberei eigentlich gedient ist und worin der tiefere Sinn steckt, sich alljährlich die Wasserstandsmeldungen vom Infektionsgeschehen um die Ohren zu hauen?
Licht & Schatten aktueller Präventionsprojekte
Aufschlussreicher war da ein Beitrag vom Vertreter der Deutschen Aids-Hilfe, Matthias Kuske. Er präsentierte dem Tagungspublikum die Ergebnisse der ersten Evaluierung des schwulen Präventionsprojekts „IWWIT“ (Ich weiß was ich tu). Die Kampagne hat es in nur zwei Jahren geschafft, sich weitestgehend in der schwulen Community zu verankern. Lediglich bei zwei Gruppen konnte das Projekt bisher nicht reüssieren: Sexuell besonders aktive sowie HIV-positive schwule Männer. Matthias Kuske führt dies darauf zurück, dass das Projekt in seiner Außendarstellung gegenüber diesen beiden Zielgruppen nicht progressiv genug auftritt. Jirka Witschak vom Potsdamer Katte e.V. nutzte bei seinem Vortrag des Rechenschaftsberichts der „AG4“ die Gelegenheit, den besonderen Stellenwert von „IWWIT“ für seine Arbeit herauszustellen: „Ich danke dem Herrgott jeden Tag dafür, dass es diese Kampagne gibt.“, so Witschak. Seine Ausführungen machten dem gut besetzten Saal aber auch klar, dass sich die in der „AG4“ zusammengeschlossenen Initiativen nicht vor dem materiell und personell schlagkräftigen Präventions-Flagschiff „IWWIT“ verstecken müssen. Dies versetzte wiederum die Vertreterinnen der Potsdamer Aids-Hilfe in sichtbare Unruhe, zeichneten sich bei Witschaks Schnelldurchgang durch die Arbeit der „AG4“ doch die Defizite der „AG1“ (heterosexuelle Menschen, Allgemeinbevölkerung) deutlich ab. Während man bei Katte & Co. bspw. belastbare Zugriffszahlen für Angebote wie dem Portal „LOVE-SEX-SAFE.de“ vorweisen konnte, blieb Sabine Frank von der AHP beim Rechenschaftsbericht der „AG1“ merklich nebulös.
Die Referentinnen des bundesweiten„PaKoMi“-Projekts der Deutschen Aids-Hilfe (PaKoMi - Partizipation und Kooperation in der HIV-Prävention mit Migrantinnen und Migranten) machten in ihrem Beitrag vor allem deutlich: Präventionsarbeit ist zum Scheitern verurteilt, sofern der deutsche Sozialarbeiterduktus unvermittelt mit den kulturellen Hintergründen der Einwanderer kollidiert. Um Prävention überhaupt möglich zu machen, sind zunächst interkulturelle Fähigkeiten bei der Kontaktaufnahme gefragt. Und hier liegt wohl die eigentliche Herausforderung. Die neue Sprecherin der AG 3 – Migration hatte eine undankbare Aufgabe: Sie musste, obwohl noch nicht lange genug im Amt um eigene Impulse setzen zu können, viele Defizite bei der Begleitung von Migranten einräumen. Wenigstens blieb es ihr erspart, dies vor dem versammelten Auditorium zu tun. Die Tagungsregie hatte es dem Vertreter der Ministerin und einem Gutteil des Publikums zuvor durch geschickte Pausenplanung ermöglich, sich zu verabschieden. Offenkundig sind Migranten in Brandenburg kein attraktives Thema.
Hepatitis C - Ein problematisches Phänomen
Hepatitis C ist unter HIV-positiven Schwulen zu einem ernsten Phänomen geworden. War der Virus bisher fast nur bei Drogenkonsumenten und Empfängern verseuchter Blutkonserven verbreitet, so hat sich die „HepC“ inzwischen in und um die großen schwulen Metropolen Europas eingenistet. Nach Erklärungen für diesen Trend forschte Axel J. Schmidt vom Robert-Koch-Institut in einer Studie, welche er im Frühjahr veröffentlichte und nun der Tagung vortrug. Hepatitis C kann nur durch Blut-Kontakte übertragen werden, wie sie beim gewöhnlichen Sexualverkehr (ob mit oder ohne Kondom) höchst selten vorkommen. Die Ursachen mussten also woanders liegen. Schmidt brachte seine Erkenntnisse auf einen prägnanten Satz: „It’s about sharing.“ Es geht’s ums Teilen. Der Infektionsweg ist weniger eine sexuelle Begegnung mit einem infizierten Gegenüber als vielmehr der Blutkontakt mit einem „Gegenstand“, der kurz zuvor in einem Infizierten war. Einige Begleitumstände sind interessant: Das Serosorting der HIV-Positiven, also die gezielte Vermeidung von Sexualverkehr mit HIV-Negativen, erhöht das Infektionsrisiko. Signifikant erhöht ist das Risiko auch bei jenen, die durch besonders invasive Sexualpraktiken (bspw. Fisten, große Dildos) zu Blutungen im Arsch neigen, vielleicht auch schon mal operative Eingriffe im Anus hatten. Hepatitis C ist, wie Axel J. Schmidt anmerkte, ein besonders langlebiges Virus, das mitunter auch noch nach Tagen an der frischen Luft infektiös bleibt. Während Schmidts erfrischend lebensnaher Ausführungen ging ein deutlich wahrnehmbares Raunen durch das Auditorium. So viel Kontakt mit der Vielfalt schwulen Sexuallebens haben die vermeintlichen und tatsächlichen Präventionsprofis scheinbar selten.
Ines Liebold, Ärztin an Brandenburgs einziger HIV- & Hepatitis-Fachambulanz im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann, hielt ein Referat über die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten der HepC. Prozentual bestünden zwar gute Heilungschancen, zugleich bringen die Therapien aber auch erhebliche Nebenwirkungen mit sich. HIV führt ohne Behandlung zum Krankheitsbild Aids und in letzter Konsequenz zum Tod. Eigentlich eine Binsenweisheit. Trotzdem wusste Ines Liebold von einem halben Dutzend Patienten zu berichten, die in jüngerer Zeit mit dem Vollbild Aids ins Klinikum kamen. Auffallend war hierbei das teilweise hohe Alter der Männer. Scheinbar blieben ihre Infektionen über Jahre, auch durch die Allgemeinmediziner, unentdeckt. Womit die Initiative „Brandenburg gemeinsam gegen Aids“ von ihren Referenten einen weiteren Handlungsschwerpunkt der nächsten Jahre auf dem Silbertablett präsentiert bekam: Die verstärkte Aufklärung der Ärzte im Land über HIV & HepC.
Am Ende einer langen Konferenz kam es dann noch zu einer Überraschung. Die Tagungsleitung billigte den Initiativen in ihrer Zusammenfassung der Gesundheitsziele für 2012 zu, über Fördermittel neu zu sprechen. Ob dieses Zugeständnis auf eine vermittelnde Wirkung des Friedenssaals zurückzuführen ist, lies sich indes nicht feststellen. Vielleicht war man, angesichts vieler neuer Mitwirkender in der AG4, auch nur zu der Überzeugung gelangt, dass sich die bisherige Blockadehaltung bei der Mittelvergabe nicht länger aufrechterhalten lässt.