2015 - Gleiches Recht. Jedes Geschlecht
Umfrage zum Auftakt des Themenjahres „Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.“
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Erhebliche Wissenslücken bei Beschäftigten zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon einmal erlebt oder beobachtet – über ihre Rechte sind viele aber nur unzureichend informiert. 81 Prozent wissen nicht, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, sie aktiv vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen. Und mehr als 70 Prozent kennen zu dem Thema auch keine präsente Ansprechperson in ihrem Betrieb. Das sind die wichtigsten Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zum Auftakt des Themenjahrs "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht." in Auftrag gegeben und am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
"Sexuelle Belästigungen können traumatische Folgen für die Betroffenen haben – nicht zuletzt deshalb sind die Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Mitarbeitenden zu schützen. Dass die Beschäftigten so wenig über ihre Rechte aufgeklärt sind, ist ein unhaltbarer Zustand", sagte Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nennt ausdrücklich sexuelle Belästigung als Form von verbotener Diskriminierung.
Auch eine im Rahmen der Umfrage erhobene, nicht repräsentative Stichprobe unter mehr als 600 Personalverantwortlichen und Betriebsräten öffentlicher und privater Unternehmen weist auf deutliche Wissensdefizite bei sexueller Belästigung hin. So wussten 60 Prozent der Befragten auf Nachfrage nichts Konkretes darüber zu benennen, was in ihren Häusern zum Schutz vor sexueller Belästigung unternommen wird.
Kommission unter Vorsitz von Wowereit und Allmendinger
Die Ergebnisse der Befragungen werden einfließen in die Arbeit einer von der Antidiskriminierungsstelle berufenen Expert_innenkommission unter Vorsitz des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, und der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Prof. Jutta Allmendinger. "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht – für Frauen, aber auch trans- und intergeschlechtliche Menschen trifft das längst noch nicht zu. Die Kommission wird sich deshalb neben sexueller Belästigung auch mit der Lage von Frauen in prekären oder illegalen Beschäftigungsverhältnissen befassen und Benachteiligungsformen von trans- und intergeschlechtlichen Menschen am Arbeitsplatz in den Blick nehmen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, gleiche Rechte auch wirklich für alle zu verwirklichen – von der Putzfrau bis zur Managerin", sagte Lüders. Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Tarifpartner und der Zivilgesellschaft zusammen und wird bis zum Jahresende konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten.
Ein weiteres, auffallendes Ergebnis der vom Sozialwissenschaftlichen Umfragezentrum Duisburg (SUZ) durchgeführten Erhebung ist: Bei sexueller Belästigung klaffen das Begriffsverständnis und das tatsächliche Erleben weit auseinander. Oft werden Verhaltensweisen, die vom Gesetzgeber klar als sexuelle Belästigung definiert sind, nicht als solche erkannt. Direkt danach gefragt, sagen nur 17 Prozent der befragten Frauen (und 7 Prozent der Männer) von sich, sie seien bereits am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden. Fragt man jedoch die im Gesetzestext beschriebenen Tatbestände ab ("unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten"; "unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen"; "sexuell bestimmte körperliche Berührungen"; "Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen") so geben 52 Prozent der Beschäftigten (Frauen: 49 Prozent, Männer: 56 Prozent) an, solche Belästigung bereits erlebt zu haben. Frauen erleben in deutlich höherem Ausmaß physische Belästigungen als Männer. Männer berichten eher über verbale Formen wie E-Mails sexuellen Inhalts oder zweideutige Bemerkungen. Als Urheber benennen sowohl Männer als auch Frauen am häufigsten Männer.
Unwissenheit über betriebliche Hilfsangebote und Sanktionsmaßnahmen
Weitere wichtige Ergebnisse: Dass sexuelle Belästigung verboten ist, weiß zwar eine große Mehrheit (92 Prozent). Viele individuelle, im AGG garantierte Rechte, wie etwa der Schutzanspruch gegenüber dem Arbeitgeber, sind jedoch weithin unbekannt. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) kennt keinerlei Maßnahmen, die das eigene Unternehmen zum Schutz vor sexueller Belästigung ergriffen hätte.
"Sexuelle Belästigung darf nicht folgenlos bleiben. Betroffene sollten deshalb Hilfe in Anspruch nehmen – und Arbeitgeber müssen diese Hilfe auch anbieten. Das ist vielen Personalabteilungen öffentlicher und privater Arbeitgeber anscheinend nicht bewusst", sagte ADS-Leiterin Christine Lüders.
Der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kündigte in seiner Funktion als Vorsitzender der neu berufenen Expert_innenkommission gegen Geschlechterdiskriminierung konkrete Handlungsempfehlungen an. "Wenn Unwissen bei Personalverantwortlichen dazu führt, dass Belästigungen folgenlos bleiben oder bagatellisiert werden, dann müssen wir uns schon fragen, wie Arbeitgeber ihren Informationspflichten besser nachgehen können", sagte Wowereit. Die Ko-Vorsitzende Jutta Allmendinger wies auf ein weiteres Problem hin: "Die Zweimonatsfrist, in der Betroffene sexuelle Belästigung vor Gericht bringen müssen, ist sehr kurz. Traumata, aber auch Abhängigkeitsverhältnisse oder befristete Beschäftigungen halten Betroffene davon ab, Belästigungen rechtzeitig zu melden", sagte Allmendinger.
Prominente Botschafter im Themenjahr „Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.“
Die Umfrage und die Einsetzung der Kommission bilden den Auftakt des von der Antidiskriminierungsstelle ausgerufenen Themenjahres "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.". Über das ganze Jahr 2015 hinweg werden sich Tagungen, Kulturveranstaltungen, wissenschaftliche Arbeiten und ein bundesweiter Aktionstag am 16. September verschiedenen Teilbereichen der Geschlechterdiskriminierung widmen. Dazu zählen Lohnungleichheit, sexuelle Belästigung, die Lage von Frauen in unteren Lohngruppen, die Rechte von trans* und intergeschlechtlichen Menschen sowie Diskriminierungsrisiken von Männern.
Die Antidiskriminierungsstelle hat eine Reihe prominenter Botschafterinnen und Botschafter gewonnen, die das Themenjahr in der Öffentlichkeit vertreten werden. Zu ihnen gehören die Schauspielerin Karoline Herfurth, der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger, die Deutsche-Bank-Managerin Gülabatin Sun, die Journalistin und Publizistin Maria von Welser und die Autorin und Bloggerin Anne Wizorek.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Pressemitteilung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vom 03.03.2015.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.