logo_gaybrandenburg

 

gayBrandenburg Headlinebanner

Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen

Ergebnisse der MANEO-Umfrage 2006/2007

Die ersten Ergebnisse der großen MANEO-Umfrage 2006/2007 liegen vor. Die MANEO-Umfrage war zuerst als eine auf Berlin beschränkte Studie konzipiert worden, die sowohl mit Papier-Fragebogen als auch online durchgeführt werden sollte. Die Akzeptanz von MANEO als bundesweit anerkannte Beratungs- und Erfassungsstelle sowie die große Unterstützung, die wir für unsere Umfrage erhalten haben, hat zum Erfolg und zu der ausgesproche hohen Teilnehmeranzahl mit beigetragen. Noch nie zuvor hat es in Deutschland eine Umfragen unter schwulen und bisexuellen Jugendlichen und erwachsenen Männern zu Gewalterfahrungen in dieser Größenordnung gegeben.

Die in diesem Bericht vorgestellten Ergebnisse lassen aufhorchen. Mehr als jeder dritte Befragte (35 Prozent) gab an, in den letzten zwölf Monaten Gewalterfahrungen gemacht zu haben. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass von den jungen Schwulen und bisexuellen Männern unter 18 Jahren fast zwei Drittel (63 Prozent) innerhalb des letzten Jahres über Gewalterlebnisse berichteten.

Hinzu kommt noch der Umstand, dass jüngere Schwule tendenziell weniger Gewalttaten anzeigen. Oder um es direkter zu formulieren: Man kann als junger Schwuler in Deutschland offenbar nicht unbehelligt aufwachsen - und die Betroffenen bagatellisieren die Taten nach der Devise, dass man eben als Schwuler Diskriminierung und Gewalt hinnehmen und das eben nicht all zu ernst nehmen sollte.

In der Umfrage wurde auch nach der Einschätzung der Betroffenen gefragt, wer die Täter waren. Homophobe Gewalt wird danach überwiegend aus Gruppen heraus begangen (mehr als 60% Prozent). Die Täter sind überwiegend männlich (87 Prozent) und jüngeren Alters. In 20 Prozent der Fälle lag dieses zwischen 14 und 17 Jahren, in 54 Prozent der Fälle zwischen 18 und 24 und in 28 Prozent zwischen 25 und 35 Jahren (Mehrfachnennungen bei Gruppentäterschaft möglich).

Es ist offensichtlich, dass sich auf diese Personengruppe sehr viel stärker Aufklärungsarbeit konzentrieren, überhaupt „Jungenarbeit" mehr denn je in den Fokus von Schüler- Jugend und Sozialarbeit gestellt werden muss. Um das Bild der Tätergruppen stärker einzugrenzen, wurden die Befragten mit vorgegebenen Antworten gebeten, diese an Merkmalen zu identifizieren. Am häufigsten (49 Prozent) wurde die Kategori „nicht weiter auffällig" angekreuzt. Weitere Nennungen waren „rechtsradikale Deutsche" (7 Prozent) und „Fußballhooligans" (2 Prozent). Ohne dass wir danach gefragt haben, haben 16 Prozent der Befragten in einer offenen Rubrik angegeben, dass es sich bei den Tätern um Personen nichtdeutscher Herkunft gehandelt hat. Hätten wir hier genauer nachgefragt, wären die Nennungen vermutlich viel höher ausgefallen.

Das Thema „Migranten als Täter" ist angstbesetzt. Doch nicht die Schwulen, die diese Rückmeldung gegeben haben, sind das Problem. Vielmehr sind es die Täter, die Schwule zu Opfern machen, und die wiederum vermehrt mit Wut und Unverständnis reagieren. Das liberale Nebeneinander - hier die Schwulen, da die Migranten - ist mittlerweile Geschichte.

Um es deutlich zu sagen: Der Respekt vor der Würde des Menschen ist nicht verhandelbar. Wer die Würde von Homosexuellen nicht anerkennt, der stellt sich selbst ins Abseits. Er steht damit außerhalb des Grundgesetzes und unserer Gesellschaft. Und damit ist klar: Dieses Verhalten muss sich ändern oder juristisch sanktioniert werden. Wir erwarten von der Polizei und von der Justiz, den Rechtsfrieden auch für Homosexuelle zu schützen.

Die Studie zeigt, dass über 50 Prozent der Täter nicht ermittelt werden. Einerseits, weil die Betroffenen keine Anzeige erstatten - zur Erinnerung: das Dunkelfeld liegt bei 90 Prozent! Die Opfer berichten aber auch, dass sie sich mit ihren Anzeigen insbesondere bei Beleidigungen und Belästigungen (65 Prozent der Fälle) nicht ernst genommen fühlen. Bei den Betroffenen herrscht offenbar eine Vorstellung, dass die Polizei diese Fälle bagatellisieren würde. Im Endeffekt führt das schlechte Image der Polizei bei den Betroffenen dazu, dass die Polizei kaum Kenntnis von homophoben Gewalttaten erlangt.

Auf der anderen Seite fehlt hier auch das Bemühen seitens der Polizei, auf diese Situation einzugehen und daran etwas zu verändern. Die Einschätzung der Betroffenen, die Polizei würde sie nicht ernst nehmen, entspricht oft Tatsachen. Die Polizei muss sich ernsthaft um Vertrauen bemühen. Untätigkeit kommt Wegschauen gleich und führt dazu, dass sie rechtsfreie Räume zulässt, in denen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, beleidigt und angegriffen werden. Hier fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Polizei, den Angriff auf bürgerliche Freiheiten auch hinsichtlich der sexuellen Orientierung nicht hinzunehmen.

Dort, wo Polizeipräsidien Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen als feste Stellen eingerichtet haben - Berlin ist hier bisher eine herausragende Ausnahme - sehen wir eine Chance, dass sich mit der Zeit sowohl Einstellung als auch Haltung der Polizei verändern. Daran müssen sich die anderen Bundesländer ein Beispiel nehmen.

Das Problem „homophobe Gewalt" ist in den letzten Jahren nicht kleiner geworden. Was Aufmerksamkeit finden sollte ist das Ergebnis, dass die große Mehrheit der von Gewalt Betroffenen auf bekanntem, scheinbar sicherem Terrain Opfer geworden ist. Hier wird einmal mehr deutlich: Verstecken hilft nicht. Wer sich in der Abgeschiedenheit abgeschlossener Räume, z.B. den schwulen Kiezen der Großstädte oder der scheinbaren Anonymität des Internets, in Sicherheit wiegt, der kann sich nicht dem Risiko entziehen, sich als Schwuler doch eine blutige Nase zu holen, sobald er diese Räume verlässt.

Verantwortungsbewusst handeln bedeutet für zukünftige Generationen zu handeln. Wenn in unserer Umfrage von den unter 18jährigen fast zwei Drittel von Gewalterfahrungen berichten - physische und verbale Gewalt wurden hier zusammengefasst - so ist das eine schwere Hypothek für ihre persönliche Entwicklung, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

Die von den Opfern und uns als Opferhilfe wahrgenommene Bagatellisierung der Gewalt führt zu einer untragbaren Beeinträchtigung der Lebensqualität und zu nicht unerheblichen Kosten für die Gesellschaft - sei es die akute medizinische Hilfe, psychosoziale oder psychotherapeutische Unterstützung oder Erwerbsminderung durch die Folgen schwerer traumatischer Erfahrungen.

Wir können vor den absehbaren Folgen nur eindringlich warnen, die sich gerade auch mit den Ergebnissen der Befragung für die Gesellschaft zeigen. Wir fordern die Politik daher auf, sich dieser Problematik ernsthaft zu stellen. Wir haben das Gefühl, dass das Problem parteiübergreifend ernst genommen wird und dass Konsens darüber herrscht, dass das Thema nicht wieder in der Versenkung verschwindet.

Ich habe die Hoffnung, dass wir mit den Ergebnissen der MANEO-Umfrage Diskussionen

in Deutschland wieder in Gang setzen. Daher komme ich zu folgenden Schlussfolgerungen:

1. Um das schlechte Image, das die Polizei in Deutschland noch immer bei der großen Mehrheit schwuler Männer hat, zu ändern, müssen die Innenministerien dem Beispiel des Landes Berlin folgen und in allen Bundesländern männliche Ansprechpartner für die schwulen Szenen einzurichten. Auch sollten weibliche Ansprechpartnerinnen für lesbische Szenebereiche eingesetzt werden. Die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Szenestrukturen müssen auf jeden Fall berücksichtigt werden, vor allem die Gewalt, die schwulen Männern in der Öffentlichkeit widerfährt.

Ansprechpartner können eine solche Aufgabe nicht neben anderen Tätigkeiten erledigen. Stellen sind als Vollzeitstellen mit klaren Aufgabenbeschreibungen zu besetzen. Zu deren Aufgaben zählt insbesondere die regelmäßige Schulungs- und Aufklärungsarbeit von allen Polizeibeamten, die in den örtlichen Zuständigkeitsbereich fallen. Das hohe Dunkelfeld nicht angezeigter Straftaten zum Nachteil schwuler Jugendlicher und Männer macht deutlich, welchen Herausforderungen und Aufgaben sich ein Ansprechpartner zu stellen hat.

2. Um Gespräche, Verständnis und Vertrauen zwischen schwulen Szenen und der Polizei zu verbessern ist eine angemessene Förderung von schwulen Anti-Gewalt-Projekten in jedem einzelnen Bundesland zwingend erforderlich, die sich um Opferhilfearbeit, die Erfassung von Gewalttaten und um Gewaltprävention kümmern. Politische Sandkastenspiele und Alibi-Projekte nach dem Gießkannenprinzip - ein bisschen Aufklärung hier, ein bisschen Opferhilfe dort - nützen den Betroffenen nichts.

Ebenso wenig helfen Lippenbekenntnisse. Neue Gesetze wie das AGG oder die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft machen eine Gesellschaft nicht automatisch toleranter. Öffentliche Aufmerksamkeit, eine unmissverständliche Haltung gegen homophobe Gewalt und ein Konsens der politisch Verantwortlichen hinsichtlich der Verwerflichkeit dieser Delikte und der Notwendigkeit von Hilfen für die Betroffenen wären ein besserer Umgang, um die Ernsthaftigkeit einer eindeutigen Haltung gegen homophobe Gewalt zu unterstreichen.

3. Homophobe Gewaltdelikte in Deutschland müssen nach einheitlichen Kriterien erfasst werden. Die Datenlage über homophobe Gewaltdelikte bei der Polizei ist dürftig. Vor dem Hintergrund der deutschen Verfolgungsgeschichte an homosexuellen Männern unter dem Paragraphen 175 sprechen nach wie vor gerade schwule Männer der Polizei die Fähigkeit ab, entsprechende Daten zu erheben. Doch in unserem gemeinsamen Bemühen, die Bagatellisierung homophober Gewalt zu beenden, homophobe Gewalt in unserer Gesellschaft ernster zu nehmen, kommen wir nicht umhin, gemeinsam mit der Polizei über ein Schema zu diskutieren, wie wir zukünftig homophobe Gewalttaten anhand von Kriterien identifizieren und erfassen können. Denn es erscheint nach wie vor schwierig, sowohl für die Betroffenen selbst, aber auch für die Polizei, vorurteilsmotivierte Gewalt, insbesondere homophobe Gewalt als solche zu identifizieren: Hat der Täter das Opfer deshalb angegriffen, weil es schwul war?

Kriterien mit Bezug auf „Hatecrime" wurden bereits in den USA erarbeitet und finden dort seit vielen Jahren Anwendung. Entsprechende Kriterien wurden auch bereits von MANEO aufgestellt und über die Jahre weiter entwickelt. Diese Erfahrungen müssten in die Diskussionen einbezogen werden.

4. Vorurteilsmotivierte Gewalttaten gegen Homosexuelle müssen in Deutschland zentral und mit Hilfe eines einheitlichen Systems erfasst und für die Entwicklung zukünftiger gewaltpräventiver Strategien analysiert werden. Bundesländer und Bundesregierung müssen entsprechende Voraussetzungen schaffen. Um diesem Ziel näher zu kommen wird eine Zusammenarbeit zwischen Anti-Gewalt-Projekten und der Polizei notwendig sein.

In Berlin haben wir ein Modell entwickelt, das auf eine langjährige vertrauensvolle, aber auch kritische Zusammenarbeit zwischen der Berliner Polizei und MANEO baut und der Transparenz dient.

Mittlerweile meldet die Polizei jedes Jahr MANEO anonymisiert Straftaten zum Nachteil Schwuler und Bisexueller. MANEO erfasst diese angezeigten Straftaten gemeinsam mit den Fällen, die Betroffene nur MANEO gemeldet haben. Anschließend kann MANEO alle Fälle auswerten und die Ergebnisse gemeinsam mit der Polizei diskutieren.

Hier wird deutlich, dass gemeldete bzw. angezeigte vorurteilsmotivierte Gewalttaten gegen Homosexuelle nicht ausreichen, um einen tatsächlichen Überblick über das Ausmaß der Gewalt zu erhalten.

Mit Hilfe von MANEO können weitere Informationen zu einer sehr viel effektiveren Ausrichtung kriminalpräventiver Arbeit herangezogen werden.

Und schließlich trägt die MANEO-Umfrage zu einer präziseren Eingrenzung des Dunkelfeldes bei. Deshalb müssen regelmäßig empirische Untersuchungen zu Gewalterfahrungen unter homosexuellen Menschen durchgeführt werden. Es erscheint notwendig, dass Informationen über homophobe Gewaltdelikte aus vielen verschiedenen Quellen zusammengetragen werden müssen, um einen besseren Überblick zur Gewaltsituation zu erhalten. Aus diesem Grund müssen die von MANEO begonnenen Umfragen regelmäßig fortgesetzt und auch weiter entwickelt werden.

Bastian Finke, Dipl. Soziologe, MANEO-Projektleiter

(gekürzt)

Die Umfrage Ergebnisse in der Zusammenstellung (36 Seiten)

pdf umfrage-ergebnisse 11/11/2007,18:05 250.33 Kb

Drucken E-Mail