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Es war Notwehr: Dennis Milholland freigesprochen

(Gaybrandenburg - communityTicker) Sichtlich erleichtert schreitet Dennis Milholland am 25.01.2007 kurz nach 15:00 Uhr das ausladene Treppenhaus des Potsdamer Amtsgerichtes herab. Wieder hatte ihn die nun fast ein Jahr und neun Monate alte Geschichte eingeholt: Die pöbelnden Jugendlichen auf dem Weg zur S-Bahn, die rassistischen Beschimpfungen, die Rempeleien am Bahnhof und die ernsthaften Angriffe eines der Herren später im Zug. Mit einem Biß hatte sich der 57jährige HIV-Positive und stark sehbehinderte damals der Schläge und eines Würgegriffes des 26jährigen Oliver K. erwehrt - seitdem ermittelte die Potsdamer Staatsanwaltschaft auch gegen Milholland. Man weiß inzwischen: Oliver K. wurde wegen der Beleidigungen derweil rechtskräftig verurteilt und ist bei dem Biß nicht mit HIV infiziert worden. Dennoch findet der Prozeß statt. Die Anklage gegen Dennis Milholland lautet auf Körperverletzung.

Nach etwa 90 Minuten, der Vernehmung dreier Zeugen und des Angeklagten selbst, beantragt auch der Staatsanwalt einen Freispruch. Der Biß geschah in Notwehr.

Großer Bahnhof auf dem Flur im Potsdamer Amtsgericht: Etwa 50 interessierte Zuschauer (darunter auch die Potsdamer Aidshilfe, die Berliner Gays&Friends und Katte e.V.) versammeln sich nebst einigen Pressevertretern vor milholland_prozess03.jpgdem Eingang zum Saal 310. Neben der Tür ist die Verhandlung gegen Milholland bereits angeschlagen. Ein kopierter Zettel darunter verbietet vorsorglich Film- und Fotoaufnahmen im Treppenhaus. Drängelei beim Einlass: Saal 310 bietet etwa 15 Zuschauern Platz. Gleich nachdem die große Gruppe auf dem Flur sich in Bewegung setzt, winkt der Gerichtsdiener auch schon wieder ab. "Alles besetzt, nur noch Presse." Der vermeintliche "Rest" der Öffentlichkeit wartet das Ergebnis der sogenannten öffentlichen Verhandlung draußen ab.
"Ihr Nigger, ich f*** Euch, bis das Gehirn 'rausspritzt!" Für Sätze wie diesen ist Oliver K. bereits im vergangenen Jahr rechtskräftig verurteilt worden. Mit genau diesen Worten beginnt am Abend des 27. Mai 2005 die Auseinandersetzung zwischen dem heute 26jährigen Maurer, Dennis Milholland und seinen beiden Begleitern. Und wieder wird die Geschichte aufgerollt: Der Angeklagte und drei Zeugen schildern nacheinander den Tathergang, beschreiben Wortgefechte und Beleidigungen, Rempeleien und Angriffe so, dass die vorsitzende Richterin letztlich den Ausführungen Milhollands (gaybrandenburg berichtete) Glauben schenken musste, wonach er und seine beiden Begleiter, die sich nach dem Besuch einer Kulturveranstaltung auf der Rückfahrt nach Berlin befanden, in der Potsdamer Straßenbahn von drei jungen Männern zunächst beleidigt und mit rassistischen Sprüchen beschimpft wurden. Außerdem zeigten die Pöbler durch „Sieg Heil“-Rufe deutlich ihre Gesinnung.

Beim Aussteigen am Potsdamer Hauptbahnhof wurden Dennis Milholland und einer seiner Freunde dann von Oliver K. brutal angerempelt und von diesem anschließend als „Nigger“ beschimpft. Außerdem machte K. auch schwulenfeindliche Äußerungen.

Die Gruppe bestieg die bereitstehende S-Bahn, wohin Oliver K. kurz darauf allein folgte und nun Andreas W., einen der Begleiter Milhollands, beleidigte und schlug. Als Dennis Milholland den Angreifer daraufhin am Arm festhielt, schlug der ihm unvermittelt und hart ins Gesicht. Da Dennis Milholland auf einem Auge blind, auf dem anderen stark sehbehindert ist, hatte er den Schlag nicht kommen sehen. Sein Ohr begann zu bluten.

K. stieß den 57jährigen Mann brutal zu Boden und trat auf ihn ein. Der schaffte es jedoch, wieder aufzustehen. Und erneut griff Oliver K. sein Opfer brutal an. Dennis Milholland wehrte sich erfolgreich, indem er den Angreifer in den Finger biß. Weil der Finger des Täters durch den Biß blutete, informierte Dennis Milholland ihn vorsorglich, daß er Aids hätte. Daraufhin rannte K. davon und holte die Polizei.

Dinge, an die Oliver K. sich nun vor Gericht nicht mehr so genau erinnern will: "Kann sein... auf jeden Fall..." räumt er stockend ein. Die langwierige antivirale Therapie und das sechsmonatige Warten auf das verbindliche Ergebnis seines HIV-Testes hätten ihn sehr mitgenommen. Mehrfach versucht er, Milhollands Verteidigung als tätliche Angriffe darzustellen. Das glauben ihm letztendlich jedoch weder der Staatsanwalt noch die Richterin, die den letzten Zeugen (einen Polizeibeamten) gar nicht mehr milholland_prozess02.jpgabwartet, sondern zackig die jeweiligen Plädoyers einfordert, um dann zur Urteilsverkündung schreiten zu können. Bei dem Tempo haut sie in der mündlichen Begründung ihres Freispruches nocheinmal Angeklagten und Zeugen gründlich durcheinander und stellt versehentlich fest, Milholland (wörtlich: der Angeklagte) sei ja bereits wegen diverser Beleidigungen verurteilt worden.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit des Bisses im Rahmen der gesetzlichen Notwehr bei bestehender Gefahr einer HIV-Infektion klammerte die Richterin in ihrer Begründung vorsorglich aus. Bereits im Vorfeld des Prozesses ist dieses Thema in der Community immer wieder heiß debattiert worden. Eine Verurteilung Milhollands hätte möglicherweise bedeutet, dass HIV-Positiven wegen ihrer übertragbaren Infektion ein Recht auf Notwehr nicht mehr zustände. Hier hat das Potsdamer Amtsgericht jedoch klar festgestellt, das Milhollands Aids-Erkrankung bei der Urteilsfindung keine Rolle spielte. Dem 57jährigen hätte ansonsten eine Haftstrafe bis zu zwei Jahren gedroht.

 

Telefoninterview mit Dennis auf http://www.pinkchannel.de/

(Weitere Informationen in den Foren von gaybrandenburg.de)

 

Randnotizen zum Prozess:

(ron) In seiner Vernehmung betonte Oliver K., er hätte sich über ein halbes Jahr hinaus einer antiviralen Therapie unterziehen müssen. Die Fachleute im Publikum stutzen: Solche Behandlungszeiträume seien zumindest unüblich. K. fügte seiner Aussage noch die Behauptung hinzu, er hätte daher massiv an Gewicht zugenommen, sei deshalb so unkonzentriert, und hätte - jetzt können sich die Zuschauer das Grinsen nicht mehr verkneifen - zudem insgesamt sechs Monate auf Sex verzichten müssen. Ausdrücklich bemüht sich die Richterin, den Zeugen nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Sehr sorgfältig hinterfragt sie, wie nun sein Finger in Milhollands Mund gekommen sei. Auf zahlreichen Umwegen versteigt sich Oliver K. an dieser Stelle dazu, die Richtigkeit seiner eigenen Verurteilung anzuzweifeln. Er behauptet plötzlich, Milholland hätte seinen Arm genommen, den Finger zum Mund geführt und zugebissen, "...wie man eben einen Apfel essen würde...".

Staatsanwalt Jürgen Flügel erklärt anschließend den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN): „Der Verlauf dieses Falls war sicher nicht wünschenswert.“ Er nennt behördeninterne Gründe, warum es überhaupt zu der Anklage gekommen sei. In der Potsdamer Staatsanwaltschaft wären unabhängig voneinander zwei Abteilungen mit der Gewalttat betraut gewesen.

Ob dies für das Amtsgericht auch der Grund war, die Verhandlung gar nicht erst öffentlich anzukündigen, bleibt weiterhin unklar. Der Tageszeitung taz gegenüber spekuliert ein Gerichtssprecher lediglich über mögliche Ursachen: Es könne sein, dass die entsprechende Akte beim Verfassen der Pressemitteilung gerade nicht vorhanden war. Oder der Prozess wäre überhaupt erst nach Erstellung der Terminübersicht terminiert worden. Er versichert, Presse und Öffentlichkeit hätte man nicht außen vor halten wollen. Dennoch reagiert das Amtsgericht nach mehreren Presseanfragen im Vorfeld am Donnerstag auf seine ganz eigene Weise: Die Verhandlung findet in einem ausgesprochen kleinen Saal statt und die öffentlichen Wege im Haus ziert ein gesondert erlassenes Fotografier- und Filmverbot.

Bericht des Tagesspiegel: pdf milholland 04/02/2007,21:00 30.67 Kb

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